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Politik für Menschen mit Behinderung - das steht im Koalitionsvertrag

Kommt es zur Unterschrift?
Am 03. Dezember begehen die Vereinten Nationen den Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung. In welche Richtung geht hier in Deutschland die Politik von und für Menschen mit Behinderung? Welche modernen, menschenrechtlichen Ansätze werden im geplanten Koalitionsvertrag umgesetzt? Ich hab mal nachgelesen.

Im über 170-seitigen Vertragsentwurf sind die wichtigsten Punkte auf etwas mehr als einer Seite festgelegt:
  • "Nichts über uns ohne uns" - Diese Forderung ist für behindertenpolitisch aktive Menschen ca. 30 Jahre alt. Welche Vertreter des Forums behinderter Juristinnen und Juristen, des Deutschen Behindertenrates, der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben oder der BRK-Allianz haben an den Beratungen zur Großen Koalition teilgenommen? Niemand. 
  • UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen - Die große Koalition - so sie denn zustande kommt - wird eine Menschenrechtskonvention, die Deutschland ratifiziert hat, auch umsetzen. Eine Selbstverständlichkeit. 
  • Inklusiven Arbeitsmarkt stärken - der erste konkrete Punkt. Dazu gehöre auch "die Anerkennung und Stärkung des ehrenamtlichen Engagements der Schwerbehindertenvertretungen". Im weiteren Text liest man noch, dass in den Jobcentern "ausreichend qualifiziertes Personal vorhanden sein" muss, um "die Belange von Menschen mit Behinderungen zu erkennen, fachkundig zu beraten und zu vermitteln". Aber wie? Im Rahmen der Inklusionsinitiative für Ausbildung und Beschäftigung sollen "Anstrengungen für die berufliche Integration" erhöht werden. Und schließlich will die neue Regierung "den Übergang zwischen Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und dem ersten Arbeitsmarkt erleichtern" und dabei die Erfahrungen mit dem Budget für Arbeit einbeziehen. Intensivere Erfahrungen haben genau 2 der 16 Bundesländer: Rheinland-Pfalz und Niedersachsen. 
  • Eingliederungshilfe reformieren - modernes Teilhaberecht entwickeln - Die neue Regierung wird ein Bundesleistungsgesetz für Menschen mit Behinderungen erarbeiten und die Einführung eines Bundesteilhabegeldes prüfen. Das Forum behinderter Juristinnen und Juristen hatte dazu bereits einen Gesetzentwurf mit Finanzierungsvorschlägen erarbeitet. Das findet keine Erwähnung, aber die Regierung will behinderte Menschen und deren Verbände in das Gesetzgebungsverfahren einbeziehen.
  • Letzter Punkt: Barrierefreiheit im Netz - "Wir prüfen daher, ob durch ein Prüfsiegel „Barrierefreie Website“ für Verwaltung und Wirtschaft die Gleichstellung behinderter Menschen unterstützt werden kann." 
Mein Fazit: Dieser Entwurf des Koalitionsvertrags ist enttäuschend für Menschen mit Behinderung. Die Verfasser und Verfasserinnen haben den menschenrechtlichen Ansatz von Behinderung noch nicht verstanden: um Menschenrechte bemüht man sich nicht, die gelten - ungeprüft - für jeden Menschen mit oder ohne Behinderung.



Kommentare

  1. Interessant. So ein bundesgefördertes Prüfsiegel "Barrierefreie Website" (dincertco) gibt's doch schon. Dass das jemand gewollt hätte, wäre mir neu.

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