Direkt zum Hauptbereich

Kann ein UNESCO-Schulfest heute noch exklusiv sein? Oder wollen "die" wirklich nicht?

Der Festzug aus der Perspektive hinter der Absperrung. 


Morgen ist es wieder so weit. Die Kamenzer Schülerinnen und Schüler ziehen mit Blumen und in festlicher weißer Kleidung durch die Kamenzer Innenstadt, um das Forstfest, DAS sächsische Heimat- und Schulfest, zu begehen. Das Forstfest geht auf eine Legende zurück, bei der Kinder in weißer Kleidung in den Kamenzer Forst zogen, um eine Belagerung der Stadt durch die Hussiten zu verhindern - erfolgreich.

Seit 2021 ist das Kamenzer Forstfest nun auch noch in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen worden. Grundlage dafür ist ein Übereinkommen der UNESCO, das Deutschland unterschrieben hat. Und bei der UNESCO geht es nicht nur um Kultur, sondern immer auch um Bildung, um inklusive Bildung.

Und inklusiv - das ist das größte sächsische Heimat- und Schulfest wirklich nicht. Am oben beschriebenen Festzug nehmen alle Grundschulen, Oberschulen und das Gymnasium teil, die Förderschulen nicht. Es gibt einen Schüler im Rollstuhl, der von seinem Vater geschoben wird in einer Klasse, in die er gar nicht geht.

Die Argumente für fehlende Inklusion bzw. den Ausschluss bestimmter Gruppen sind seit Jahrzehnten gleich:

"Wir durften in der DDR nicht mitmachen, also dann machen wir jetzt auch nicht mit." (Sollen das Schüler sein, die seit 34 Jahren in die Schule gehen oder wer sagt so etwas?)

"Wir haben in den 60ern das Mitmachen versucht. Es hat nicht geklappt." (Das müsste dann ein Lehrer mit 60 Jahren Berufserfahrung sein?! Und außerdem gab es in den 60ern allenfalls Hilfsschulen, körperbehinderte Kinder wurden im Krankenhaus unterrichtet.)

"Die wollen ja nicht." Naja, erstens ist dieses Wording der Beginn von Ausgrenzung und zweitens, liebes Forstfestkomitee, seid Ihr schon mal auf Schüler, Eltern und Lehrer zugegangen und habt so etwas gefragt wie:

"Wir wollen alle Kamenzer Schülerinnen und Schüler dabei haben. Ihr gehört auch dazu. Was braucht ihr, um teilzunehmen?" 

Wahrscheinlich nicht. Denn dann müsste man sich Gedanken machen über Assistenzkräfte, Hol- und Bringedienste, barrierefreie Informationen und Texte rund um das Forstfest, barrierefreie sanitäre Anlagen auf dem Festgelände, ausgewiesene barrierefreie Parkplätze, ausgewiesene barrierefreie Shuttlebusse aus allen Ortsteilen und vielleicht auch über die Wegstrecke, die über das Kamenzer Altstadt-Kopfsteinpflaster führt. (Nur am Rande: Zur 800-Jahr-Feier, die Kamenz nächstes Jahr gestaltet, gibt es eine Strecke für den Festzug, die weniger abschüssig ist und weniger Kopfsteinpflaster enthält. Begründung: Es werden auch Nutztiere (Kühe) beteiligt sein.)

Die Wahrheit ist in meinem Fall, dass es nie Überlegungen gab, wie ich als Schülerin hätte mitmachen können. Andere haben für mich entschieden: "Es ist besser, wenn Du am Straßenrand zuschaust." 

Der Ausschluss war auch damit nicht beendet, sondern als ich - Jahre später, nun Pädagogin dieser Stadt - fragte, ob ich denn dann wenigstens am Marktplatz die Schüler für das Schlussbild mit einweisen kann, war die Antwort: 

"Dafür hast du nicht die richtige Größe."

Wie hört sich das für Sie an? Es erinnert mich an den Satz: 

"Wer Inklusion will, findet Wege. Wer nicht, Begründungen."

Und ich frage mich an dieser Stelle: Um was geht es hier eigentlich: eine inklusive Gesellschaft oder eine exklusive, traditionsreiche Veranstaltung?

Fazit: aus Respekt vor meinen Schülerinnen und Schülern werde ich wieder am Rande stehen und zusehen. Partizipation geht aber anders.


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Waffenteile in WfbM, Fahrstuhl-TÜV und Kitas ohne Kinder

In dieser Woche war ich in einen fächerverbindenden Unterricht zum Thema "Albert Schweitzer" und seiner "Ehrfurcht vor dem Leben" eingebunden, für die erste der 5. Klassen an unserem Gymnasium. Albert Schweitzer würde am 14. Januar 2025 seinen 150. Geburtstag feiern. Albert Schweitzer Quelle: Wikipedia Oft bin ich überrascht und beeindruckt, was für Ideen und Fragen die Fünftklässler entwickeln: Wäre Albert Schweitzer heute für Inklusion? Welche Einstellung hätte Albert Schweitzer heute zum Ukraine-Krieg? In Zusammenhang mit dem fächerverbindenden Unterricht haben wir auch eine Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) nicht nur besucht, sondern gemeinsam gearbeitet und beim Gegenbesuch gemeinsam Sport getrieben. Wie finden Sie es, liebe Leserinnen und Leser, dass in einer WfbM eines christlichen Trägers durch Menschen mit Behinderung auch Waffenteile (nach Aussage der Werkstatt nur für den zivilen Gebrauch) hergestellt werden? Wir erfuhren beim Werkstattrundgang auc...

Um was geht es hier eigentlich? oder "Wer Inklusion will, findet Wege. Wer nicht, Begründungen."

Liebe Leserinnen und Leser, in dieser Woche war Vorbereitungswoche. Morgen beginnt das Schuljahr 2023/2024. Also Zeit für uns Pädagoginnen und Pädagogen für Vorbereitung und gegenseitige Fortbildung. Deshalb habe ich gemeinsam mit einer Kollegin über unsere Fortbildung via Erasmus+ in Nizza berichtet: "Designing Inclusive Learning Environments to Support all Students" (Inklusive Lernumgebungen schaffen, um alle Schüler zu unterstützen). Ein Bild, das ich dabei nutzte, war dieses: Das Bild zeigt drei unterschiedlich große Menschen, die hinter einer Absperrung stehen, um ein Ballspiel zu sehen. Alle drei bekommen denselben Kasten, auf dem sie stehen können. Dabei sieht der Kleinste immer noch nichts. Nur wenn der größte Mensch seinen Kasten an den kleinsten abgibt, kann der körperlich Kleinste auch etwas sehen. Im dritten Bild ist die Absperrung durch ein Netz ersetzt und alle können das Spiel sehen. Überschrieben ist dieses Bild mit "Gerechtigkeit". Soll heißen, wenn...