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Etikettenschwindel oder Ich mag keine Inklusionspreise.

Am letzten Wochenende war ich Teilnehmerin einer Podiumsdiskussion auf der INKLUSIVE2015. Und mein letzter Satz war:
Nach einem Beispiel für einen solchen Etikettenschwindel muss ich nicht lange suchen:

Das Land Berlin vergibt seit 2003 einen Inklusionspreis für Betriebe, die schwerbehinderte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beschäftigen. In diesem Jahr ist das wieder so.

Bis vor ein paar Jahren hieß der Preis noch Integrationspreis. Dass ein bloßer Namensaustausch noch lange nicht automatisch wirklich gleichberechtigtes Miteinander bedeutet, kann man ganz gut an diesem Preis erkennen.

Schon in der Überschrift der Ausschreibung spricht der Senat von Berlin von “behindertenfreundlichen” Unternehmen, die gesucht werden. Inklusion meint aber nicht Freundlichkeit, sondern Gleichberechtigung.

Noch weniger inklusiv wird es dann bei den Vergabekriterien: Zunächst werden die Betriebe nach dem Vorhandensein einer Schwerbehindertenvertretung und einer Integrationsvereinbarung nach § 83 SGB IX gefragt. Sicher leisten viele Schwerbehindertenvertreter und – vertreterinnen gute Arbeit, aber das bloße Vorhandensein sagt noch nichts über deren qualitative Arbeit oder deren Mitwirkungsrechte aus.

Als nächstes werden die Unternehmen gefragt, ob sie Aufträge an Werkstätten für behinderte Menschen erteilen.
Wenn ein Unternehmen Aufträge an Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) vergibt, tut es für das gleichberechtigte Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung – nichts. Die Nutznießer der Verträge an WfbM sind die Betriebe, in denen nichtbehinderte Menschen arbeiten, weil
  • sie ihre Aufträge zu günstigen Konditionen erteilen können
  • die behinderten Menschen nur ca. 180 € monatlich verdienen
  • sie dann noch ihre Ausgleichsabgabe für nichtbesetzte Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen um die Hälfte des Rechnungsbetrages reduzieren können.
Zum Schluss wird dann noch gefragt, welche Maßnahmen für den behinderten Mitarbeiter getroffen wurden: “Besonderer Parkplatz”, “Behinderungsgerechte Arbeitsplatzgestaltung” und wieviel das alles den Arbeitgeber gekostet hat. Keine Frage dazu, welchen Nutzen das Unternehmen aus der Beschäftigung eines schwerbehinderten Menschen gezogen hat.

Gleichberechtigte Teilhabe geht anders. Ich will lieber Geschichten hören, wie beide Seiten von der Zusammenarbeit lernen, sich entwickeln, gemeinsam profitieren und gleichberechtigt zusammenarbeiten.

Übrigens: Der Preis ist seit 2008 mit insgesamt 30.000 EUR dotiert, er geht an ein Kleinunternehmen, ein mittelständisches Unternehmen und ein Großunternehmen. 30.000 EUR jährlich seit 8 Jahren = 240.000 EUR - ich würde die ja eher einsetzen für die Unterstützung der vielen Tätigkeiten, die behinderte Menschen im Land Berlin bisher ehrenamtlich und meist ohne wirksame Partizipation erbringen: in Beiräten oder in Verbänden. Oder in die Förderung behinderter Schulabgängerinnen und Schulabgänger, z. B. in den geplanten Jugendberufsagenturen.

Das wäre Inklusion im Original: partizipativ und nachhaltig.

Kommentare

  1. 2007 habe ich mal im Rahmen meines alten Projektes "nischenTHEMA / Blogpaten" bei einigen Inklusions-Preisträger- Betrieben angefragt, ob von ihren schwerbehinderten Mitarbeiter*innen vielleicht jemand mit Unterstützung eines Blog-Paten mal darüber berichten mag, was sich durch diesen Preis für ihn/sie verändert hätte. Da herrschte ziemliche Irritation, die noch größer wurde als ich konkret anbot schwerbehinderte Mitarbeiter*innen selbst berichten lassen zu wollen. Die einzigen bei denen ich damals vor Ort war, war georg menshen gmbh in der Nähe von Spandau.

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