Liebe Leserinnen und Leser,
das Schuljahr geht zu Ende und endlich können meine Schülerinnen und Schüler wieder gemeinsam ihre bestandenen Abiturprüfungen feiern - diesmal unter dem Motto: "TrAbi 2022 - 12 Jahre Lieferzeit".
Ein paar Tage zuvor war ich im 11. Jahrgang zur Verteidigung einer Jahresarbeit zum Thema "Euthanasie im Nationalsozialismus" eingeladen. In diesem Zusammenhang sprachen wir auch über das ausgeprägte Separieren im deutschen Schulsystem, das (s)einen Ursprung im Nationalsozialismus hat.
Die Elftklässlerin stellte Ihre Arbeit vor Achtklässlern vor und interessant war dabei, dass die Schüler bei der Frage "Welche Erfahrungen habt ihr im Umgang mit Menschen mit Behinderung?" in meinem Beisein mit "Ich kenne keine Menschen mit Behinderung" geantwortet haben.
Beim Abiball sitze ich dann neben einer Pädagogin und sie erklärt mir erst, dass sie es besonders für körperbehinderte Kinder doch besser fände, wenn diese in der Fischhausstr. (dort befindet sich eine Dresdner Förderschule) betreut würden, weil sie dort einfach die besseren räumlichen Bedingungen hätten (was ja leider tatsächlich der Realität entspricht), z. B. ein Therapiebecken. Andererseits habe ich in den letzten ca. 30 Jahren Berufsausbildung und -tätigkeit noch nie ein Therapiebecken vermisst, fehlende Fahrstühle, Rampen und barrierefreie Toiletten allerdings schon.
Schülerinnen und Schüler mit Autismus könne man aber schon gut integrieren, findet meine Gesprächspartnerin weiter. Aha. Sie würde ihren Schülern (ohne sonderpädagogischen Förderbedarf) stattdessen gern eine Werkstatt für behinderte Menschen zeigen - "Das ist ja wie Zoo", konnte ich mir nicht verkneifen. Meine Gesprächspartnerin lässt sich nicht beirren, weil "man kennt im Alltag einfach keine Menschen mit Behinderung." Deshalb findet sie es auch gut, wenn Schüler ohne Behinderung gemeinsam mit einem Menschen mit Behinderung an einem Lauf teilnehmen. "Wie heißt der Lauf noch?" - "Inklusionslauf", antworte ich.
"Dass die meisten Menschen keinen Menschen mit Behinderung im Alltag kennen, ist doch das eigentliche Problem. Die Lösung wäre das gemeinsame Leben, Lernen und Arbeiten.", versuche ich die Unterhaltung noch irgendwie zu retten. Aber keine Chance.
Zuhause schaue ich mir mal die Webseite der Förderschule für Körperbehinderte genauer an und leider ist alles so, wie ich befürchtet habe: Die Schule nennt sich nicht Schule, sondern Förderzentrum, zum Team und zu den Partnern der Schule gehören Krankenschwestern und Eltern, aber nicht die Agentur für Arbeit, Unterstützte Kommunikation ist ein Thema, aber nicht Unterstützte Beschäftigung oder Persönliche Assistenz.
Und schließlich noch das: Das Förderzentrum für "fröhliche und leistungsfähige KINDER und JUGENDLICHEN mit Besonderheiten in der körperlichen und motorischen Entwicklung und daraus resultierendem erhöhten Sonderpädagogischen Förderbedarf, mit den gleichen Bedürfnissen und Träumen wie ihre Altersgefährten" (Zitat von der Website) trägt den Namen Dr. Rainer Fetscher so wie sich auch das Universitätsklinikum der TU Dresden an der Fetscherstr. befindet.
Mir schwant schon nichts Gutes und Wikipedia liefert tatsächlich diese Informationen über Prof. Dr. Rainer Fetscher: "Nachdem er sich gegen Ende der Weimarer Republik bereits nationalsozialistischen Positionen angenähert hatte, ohne freilich in Einzelfragen wie der sogenannten Mischehe und im radikalen Antisemitismus der NS-Ideologie zu folgen, begrüßte er ausdrücklich das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933."
Hm. Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses war die gesetzliche Grundlage für den massenweisen Mord an Menschen mit seelischen, körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen in den folgenden Monaten und Jahren.
Ob das die Schule und der Stadtrat auch wissen?
Nachtrag vom 13. Juli 2022: Sie wissen es, wie dieser Artikel aus dem Jahre 2007 im Stern beweist.
Krass…
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