Liebe Leserinnen und Leser!
Ich bin gerade dabei, den 7. Bericht zur Lage der Menschen mit Behinderungen im Freistaat Sachsen zu lesen. (Das sind mehr als 500 Seiten!) Und - Überraschung - der Bericht ist noch nicht barrierefrei.
Hier mal ein paar bedenkenswerte Punkte:
"Hinsichtlich des Öffentlichen Personennahverkehrs schreibt das PBefG (Personenbeförderungsgesetz) vor, einen barrierefreien Zugang zum straßengebundenen Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zum 01.01.2022 umzusetzen. Zurzeit sind in den sächsischen Städten 30 bis 40 % der ÖPNV-Haltestellen barrierefrei gestaltet, im ländlichen Raum dagegen nur 5 %." Hier werden Gesetze ignoriert und es passiert - nichts.
Aufgehobene Haltestelle - Quelle: privat |
"Auch in Bezug auf die inklusive Unterrichtung zeigen sich innerhalb Sachsens große Unterschiede je nach Region: Während in den Landkreisen Leipzig und Nordsachsen mehr als 50 % der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine Regelschule besuchen, sind die entsprechenden Anteile in vielen anderen Kreisfreien Städten und Landkreisen deutlich geringer. Am niedrigsten sind sie mit 21 % im Landkreis Görlitz."
Im Landkreis Bautzen sind es 26%, das bedeutet, dass trotz aller schönen Inklusionsreden immer noch 3/4 aller Schüler mit Behinderung bzw. sonderpädagogischem Förderbedarf im Landkreis Bautzen in Sonderschulen unterrichtet werden. Das finde ich besonders schade, weil hier allen Schülerinnen und Schülern, auch und gerade denen ohne Beeinträchtigungen, die Chance genommen wird, Empathie, Sinn für Benachteiligung, Gerechtigkeit, Sensibilität für Barrieren, ein Gefühl für Vielfalt zu entwickeln, für unterschiedliche Bedürfnisse, für Wege, sich abzugrenzen oder auch dazuzugehören.
"Im Jahr 2017 waren von den Personen im erwerbsfähigen Alter (von 18 bis 64 Jahren) ohne Behinderungen in Sachsen 83 % erwerbstätig gegenüber 48 % der Personen mit Behinderungen."
Hier liegt ein riesiger ungenutzter Schatz an Erfahrungen und Fähigkeiten brach, die bei weiterer Nicht-Erwerbstätigkeit zu mehr Armut und mehr Exklusion führen (und was beim aktuellen Fachkräfte- und Personalmangel nicht nachzuvollziehen ist).
"Unter anderem wurde ermittelt, dass rund 88 % der Wohnungen, die Menschen mit motorischen Behinderungen derzeit bewohnen, die Kriterien für Barrierefreiheit nicht oder nur teilweise erfüllen."
Dabei würde mehr Barrierefreiheit in diesem Bereich zu mehr sozialer Inklusion im ganz normalen Alltag und zur Entlastung der stationären Einrichtungen führen.
"Nur 3% der untersuchten (Arzt-)Praxen erwiesen sich als umfassend barrierefrei in Bezug auf den Zugang zur Praxis, die Gegebenheiten innerhalb der Praxis und die Toiletten.
Neben der baulichen Zugänglichkeit wurden in der Studie auch Schwierigkeiten im Arbeitsablauf oder in der Behandlung untersucht. 36 % der Praxen gaben an, in ihrer täglichen Arbeit keine Barrieren oder Schwierigkeiten zu erleben, bei den verbleibenden Praxen wurden dagegen z. B. Schwierigkeiten bei Krankentransporten, bei der Behandlung von Rollstuhlfahrenden oder von Patientinnen und Patienten mit Sinnesbehinderungen identifiziert."
Wenn Gesundheit das höchste Gut ist, das wir Menschen besitzen, dann sind die fehlende Barrierefreiheit von Arztpraxen und Untersuchungsmöbeln sowie fehlende geschulte Assistenz ein echtes Gesundheitsrisiko und im schlimmsten Fall lebenszeitverkürzend.
"Bundesweite Daten zeigen, dass kulturelle Veranstaltungen von 86 % der Menschen ohne Beeinträchtigungen und von rund 64 % der Menschen mit Beeinträchtigungen regelmäßig oder gelegentlich besucht werden. Insbesondere der Besuch von den überwiegend frei finanzierten Veranstaltungen wie Kino, Jazz- oder Popkonzerten, Tanzveranstaltungen etc. unterscheidet sich zwischen Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen: Diese Veranstaltungen besuchen rund 77 % der Menschen ohne Beeinträchtigungen und rund 46 % der Menschen mit Beeinträchtigungen."
Wenn ich mal über meine Einladungen zu Bällen, in Restaurants, zu Festen, Märkten, Stadtteiltreffs, Quartierbüros oder Ausstellungen nachdenke, dann sind in der Region Kamenz die Prozentzahlen für Menschen mit Beeinträchtigungen noch deutlich niedriger.
Es bleibt also noch eine Menge zu tun, Schätze zu bergen und Chancen zu nutzen.
In Sachsen und in Kamenz.
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