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Das, was fehlt: ansprechen + zuhören + beteiligen


Ich bin langsam wirklich sauer und frustriert, weil ich so viele Menschen kenne, die sich seit Monaten für den Schutz aller Menschen vor Corona einsetzen, Umsetzungsvorschläge machen, auf vergessene Personengruppen hinweisen und nicht gehört werden. Wochen um Wochen und Monate um Monate ziehen ins Land und der Eindruck entsteht, wir lernen aus dieser Pandemie nichts.

Drei Beispiele: 

1. Beteiligung

Barrierefreiheit hat viel mit Beteiligung zu tun. Werden die Menschen, die ich möglicherweise von den Corona-Schutzmaßnahmen ausschließe, beteiligt und gehört? Da bekommen derzeit ältere Menschen Post von der Bundesregierung mit den Berechtigungsscheinen für die FFP2-Masken, die sie sich zweimalig aus der Apotheke holen können. Wir reden hier von der Gruppe der über 80-Jährigen, die auch schon mal öfter in der Mobilität eingeschränkt sein können. Wäre es dann nicht sinnvoller, wenn man diese Masken einfach in den Umschlag reingesteckt hätte?!

Oder das Internetportal zur Impfterminvergabe. Hätte man z. B. die Seniorenvertretungen vorher mal gefragt, wie sie sich eine Terminvergabe vorstellen, hätte diese Personengruppe bestimmt nicht die Onlineregistrierung an erster Stelle genannt. Außerdem ist die Website für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen oder auch für gehörlose Menschen oder für Menschen mit Lernschwierigkeiten nicht barrierefrei:

Teilweise Barrierefreiheit der Website zur Impfterminvergabe

Und von der Odyssee, die meist die Töchter oder Söhne der Seniorinnen und Senioren durchlaufen, um nach der Registrierung tatsächlich an einen Impftermin für ihre Verwandten zu gelangen, will ich erst gar nicht sprechen. Ich bin jetzt beim 12. erfolglosen Versuch.

2. Barrierefreiheit

Von der fehlenden Barrierefreiheit und unzureichenden Beschilderung der Impfzentren habe ich schon berichtet. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass auch im Jahr 12 nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention ernsthaft noch der Vorschlag gemacht wird, dass doch Feuerwehrmänner den Impfwilligen im Rollstuhl zum Impfzentrum tragen könnten - so wie hier in diesem Bericht aus Gotha.



„Das ist kein Problem, da helfen uns bei Rollstuhlfahrern kräftige Männer von der Bundeswehr und von der Security. Ich...

Gepostet von Markus Walloschek am Dienstag, 26. Januar 2021

Apropos Impfzentrum: Auch unser Kamenzer Impfzentrum ist nicht so ausgeschildert, dass die Besucherinnen und Besucher problemlos und barrierefrei dort ankommen. Ich hatte dazu das Deutsche Rote Kreuz Bautzen angeschrieben, das das Impfzentrum betreibt. Keine Antwort.

Irgendwann treffe ich vor dem Impfzentrum neben den Bundeswehrsoldaten und Mitarbeitern einer Sicherheitsfirma in ihren typischen Uniformen auch einen Mann im weißen Hemd, der mir aus einem Zeitungsartikel bekannt vorkommt. Schon fast dran vorbei, gehe ich nochmal zurück

"Sind Sie der Geschäftsführer?"
"Ja."
"Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich hatte Ihnen eine E-Mail geschrieben wegen der Barrierefreiheit des Impfzentrums."
Schweigen. Dann: "Ich hab Sie hier auch schon mehrmals gesehen."
"Ja?"
"Sie arbeiten im Gymnasium?"
"Stimmt." Also hat er doch meine E-Mail gelesen...

Wir kommen also doch noch über die Beschilderung ins Gespräch, schließlich fragt er:
"Wann haben Sie eigentlich Ihren Impftermin?" Weil dann würde er persönlich und überhaupt...

Hm. Mag ja sein, dass ich bei manchen Fragestellungen alt aussehe, aber so alt, dass man mich für über 80 hält?! Oder denkt er, dass ich in einem Pflegeheim lebe?! 

3. Priorisierte Impfungen

Womit ich bei den priorisierten Gruppen wäre, die zuerst geimpft werden. Auch wenn die Ständige Impfkommission ihre Empfehlungen noch einmal in Richtung der Öffnung bezüglich der seltenen Erkrankungen und Menschen, die im häuslichen Umfeld gepflegt und unterstützt werden, korrigiert hat, ist das noch nicht in den Ländern und Kommunen angekommen, wie dieser Artikel und die aktuelle Website zur Impfberechtigung in Sachsen zeigt:

Screenshot Priorisierungskriterien der Corona-Schutzimpfung

Um wirklich alle Menschen mitzunehmen, bleibt also noch viel zu tun. 

Eigentlich schreibe ich immer einen positiven Schlusssatz, aber diesmal bin ich tatsächlich etwas ratlos. 

Die Menschen zielgerichtet ansprechen, ihnen zuhören und sie beteiligen
- für mich ist es aktuell das, was fehlt. 

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