Liebe Leserinnen und Leser, "wie unter einem Brennglas werden" während der Coronapandemie "die Benachteiligungen von Menschen mit Behinderung sichtbar und die Erfordernisse, die noch zu einer inklusiven Gesellschaft fehlen". So beginnt eine schriftliche Anfrage zur Schulbegleitung von Kindern mit seelischer, körperlicher, geistiger bzw. Sinnesbeeinträchtigung, die gleich zu Beginn diesen Jahres an den Kreistag des Landkreises Bautzen gestellt wurde und an der ich mitgearbeitet habe. Wie funktioniert Inklusion in Zeiten der Pandemie und was können wir aus der Pandemie für eine inklusive Gesellschaft ableiten? Das sind Fragen, die mich umtreiben, antreiben und die mich aktuell eher frustrieren und wütend machen.
Beispiel Schulbegleitung - für die Insider: gesetzliche Grundlage ist § 35a SGB VIII - diese wird da mal während der Schulschließung abgelehnt aus 3 Gründen:
- striktes Kontaktverbot (dann dürfte auch niemand mehr zum Arzt gehen oder dann müssten allen Menschen mit Pflege- oder Assistenzbedarf die Unterstützungspersonen entzogen werden)
- weil ja die Schulen geschlossen sind (die Schulpflicht und die Beeinträchtigung besteht ja weiterhin) und
- weil alle Eltern von schulpflichtigen Kindern gleich zu behandeln sind.
Über diesen letzten Grund hab ich mich am meisten geärgert, weil da wohl jemand Gleichbehandlung und Gleichberechtigung verwechselt und weil es in dieser Pandemie keine Gleichbehandlung gibt. Nicht beim Zugang zu FFP2-Masken, nicht beim Zugang zu Schnelltests und auch nicht beim Zugang zu den Impfzentren und den Impfungen gegen das Corona-Virus.
Stichwort Impfzentren: In meinem
letzten Post habe ich darüber berichtet, welche Kriterien für barrierefreies Arbeiten der Impfzentren ausschlaggebend sind. Und wie läuft es in der Realität im Jahr 12 nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention tatsächlich ab?
Die Turnhalle an "meiner" Schule sollte als eines von 13 Impfzentren in Sachsen eingerichtet werden. Am Freitag vor der Eröffnung führte das einzige Hinweisschild über diesen Eingang:
Am darauffolgenden Montag sind immerhin zwei Eingangspavillons da, einer an den Stufen und einer an der Stirnseite. Bis zum Pavillon an der Stirnseite führte ein Weg über einen Absatz, der ca. 7 cm hoch ist. Den komme ich nicht selbständig hoch. Weil zu dieser Zeit auch unsere Haustechniker draußen im Einsatz waren und ich zu denen einen guten Draht habe, versprechen sie, eine Rampe anzulegen:
Inzwischen sitze ich in meinem Büro und ein Techniker kommt vorbei. "Ich müsste mal Ihre Maße nehmen." "Bitte?!" "Ich will nur wissen, wie breit Ihr Rollstuhl ist." 😉 Seitdem gibt es diese Rampe. Und - man glaubt es kaum - auf ihr waren gleich am nächsten Tag fremde Reifenspuren. Es scheint also unter den über 80-Jährigen tatsächlich Menschen zu geben, die sich mit oder auf Rädern fortbewegen und die den Rollator lieber schieben als heben. #ironieoff
Auf der
Website des DRK, das in Sachsen mit dem Aufbau und dem Betrieb der Impfzentren beauftragt wurde, keine Hinweise zum barrierefreien Zugang, zu barrierefreien Toiletten. Gebärdensprachvideo und Leichte Sprache? Fehlanzeige. (Denn
das hier ist keine Leichte Sprache.) Also habe ich das DRK Sachsen auf diesen Mangel hingewiesen. Keine Reaktion.
Auch das DRK Bautzen, das für unseren Landkreis für den Betrieb des Impfzentrums verantwortlich ist, habe ich auf die fehlenden Informationen und Beschilderungen zur Barrierefreiheit hingewiesen. Keine Reaktion.
All das ist frustrierend und zeugt nur davon, dass die Verantwortlichen im Land und Landkreis nicht verstanden haben (oder...), dass Barrierefreiheit und Assistenzdienste die Voraussetzung für Inklusion sind und das Teilhabe sehr viel mit Beteiligung zu tun hat.
Wer soll hier eigentlich tatsächlich geschützt werden und wer wird einfach vergessen?
Dazu passt noch folgende Anekdote zum Schluss: Mit dieser Postkarte hatte neulich ein älterer Herr, der offensichtlich auch noch eine Menge Humor hat, im Schulsekretariat nach einem Termin für die CoronaSchutzimpfung gefragt. Die Turnhalle nebenan, die als Impfzentrum fungiert, hat ja keine eigene Hausnummer.
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Bildbeschreibung: Postkarte mit Zitat von Charlie Chaplin: "Nach manchem Gespräch mit einem Menschen hat man das Verlangen, einen Hund zu streicheln, einem Affen zuzunicken und vor einem Elefanten den Hut zu ziehen."
Liebe Leserinnen und Leser, wenn man wirklich die Älteren erreichen und niemanden vergessen will, dann braucht es mehr Möglichkeiten der Rückmeldung (z. B. auch über die Postkarten), Taxiunternehmen, um die Menschen zu den Impfzentren zu bringen und eine direkte Ansprache der zu Impfenden z. B. durch schriftliche Benachrichtigungen. Dann würde ich den Hut ziehen. Nicht nur vor dem Elefanten. |
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