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Falsche Richtung oder "Ooops, they did it again."

 

Liebe Leserinnen und Leser,

wenn man sich - so wie ich - mit dem Thema Inklusion beschäftigt, dann landet man oft bei folgenden Fragen:

  • Werden Menschen mit Behinderungen mitgedacht? Können sich Menschen mit Behinderung mit der Außendarstellung identifizieren?
  • Sind die Orte, Informationen und die Umgebung barrierefrei? 
  • Sind Assistenzdienste verfügbar?
  • Werden Menschen mit Behinderung tatsächlich beteiligt (oder nur informiert)?
  • Wird mit Menschen mit Behinderung gesprochen und nicht nur über sie?
  • Haben Menschen mit Behinderung tatsächlich die gleichen Rechte wie Menschen ohne Behinderung?
Probieren Sie es mal aus, wenn Sie eine oder mehrere dieser Fragen zu einem x-beliebigen Thema positiv beantworten können, dann sind die Anbieter auf dem Weg der Inklusion. Andernfalls eben nicht. Dann stimmt die Richtung nicht.

Das wird zum Beispiel immer dann deutlich, wenn ambulante oder selbstorganisierte, selbstbestimmte Angebote nicht die gleiche Anerkennung finden wie Angebote in Einrichtungen. Dann stimmt die Richtung nicht.

Ein Beispiel: der Zugang zu Corona-Antigen-Tests und Schutzmasken steht zwar Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Pflegediensten und Bewohnerinnen und Bewohnern von Pflegeheimen zur Verfügung (ob das personell immer gestemmt werden kann, ist eine andere Frage), nicht aber Menschen, die ihre Pflege oder Assistenz selbst organisieren (das ist - by the way - die weit überwiegende Mehrheit der Menschen mit Unterstützungsbedarf), auch wenn sie zur Risikogruppe gehören. Nachlesen kann man das auch bei AbilityWatch oder auch in der ÄrzteZeitung. Immer wieder sind das Erfahrungen, die Menschen mit Behinderungen, die im wörtlichen und im übertragenen Sinn mitten im Leben stehen, machen: sie werden nicht mitgedacht. They did it again, so hat es auch Constantin Grosch formuliert:

They did it again. (Jüngere) Pflegebedürftige Menschen und jene wie ich, die zwar zur hochrisikogruppe gehören, aber...

Gepostet von Constantin Grosch am Dienstag, 15. Dezember 2020
Constantin hat sich übrigens auch darüber Gedanken gemacht, wie Impfzentren barrierefrei arbeiten können und die Essenz möchte ich hier gern weitergeben, auch und gerade als Mensch mit Behinderung und nach überstandener Corona-Infektion:

Zwei-Wege-Kommunikation

Die Terminvergabe sollte nicht nur auf einem einzigen Kommunikationsweg möglich sein, sondern mindestens zwei. 

Informationsmaterial barrierefrei zugänglich

Jede*r sollte selbständig, das heißt aufgeklärt und freiwillig einer Impfung gegen das Coronavirus zustimmen. Das setzt voraus, dass Informationsmaterial in Brailleschrift und Leichter Sprache sowie für Menschen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, angeboten wird. Und selbstverständlich sollte auch ein Gebärdensprachdolmetscher verfügbar sein.

Empathisches Personal

Der Impfstoff wird voraussichtlich erst nach zwei Impfungen wirksam sein. Um die zweite Impfung sicherzustellen, braucht es bereits bei der ersten Impfung einen reizarmen Rückzugsraum und Personal, dass sich Zeit für die Impfung nimmt und auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen eingeht.

Barrierefreie Räumlichkeiten

Mobilitätseingeschränkte Menschen sollten sich unbeeinträchtigt in den Impfzentren bewegen können. Zum Beispiel sollte genügend Platz für Rollstuhlfahrer*innen und Assistenzpersonen im Behandlungsraum sein.

Einheitliche Umsetzung

Für die Umsetzung von Barrierefreiheit in den Impfzentren selbst braucht es eine bundesweit einheitliche Strategie sowie kundige, beauftragte Personen vor Ort. Die Umsetzung sollte nicht dem medizinischen Personal, welches die Impfungen verabreicht, überlassen werden.

Das wären Schritte in die richtige Richtung.

Auch im beruflichen Kontext - innerhalb der Schulsozialarbeit - mache ich immer wieder solche Erfahrungen "Falsche Richtung - they did it again." Aktuell beschäftigt mich, dass Schülern mit Beeinträchtigungen die Schulbegleitung gestrichen wird, weil "kein Schulbesuch stattfindet und es der Grundsatz der Gleichbehandlung gegenüber den anderen Eltern nicht anders zulässt."

Also: diese Aussage (des Jugendamtes) ist in mehrfacher Hinsicht falsch, weil die Schulbegleitung die Beeinträchtigung beim Lernen ausgleichen soll und diese besteht auch während der häuslichen Lernzeit weiter. Und weil in der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen nicht von Gleichbehandlung, sondern von Gleichberechtigung die Rede ist. Das sind zwei unterschiedliche Dinge. Und weil eine Gleichbehandlung bei ungleichen Ausgangsbedingungen letzten Endes eine Benachteiligung darstellt.

Dass diese ambulanten, inklusiven Unterstützungsformen meist die sind, die als erstes zur Diskussion gestellt werden, das ist für mich (wieder) ein Schritt in die falsche Richtung. Und zeigt einmal mehr, dass während der Pandemie wie unter einem Brennglas deutlich wird, was bei der Inklusion von Menschen mit Behinderungen fehlt: 



Ich wünsche mir besonders zu diesem Weihnachtsfest, dass wir als Gesellschaft endlich anfangen, in die richtige Richtung zu gehen. 

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