Direkt zum Hauptbereich

Ich mag keine Inklusionspreise. Von Vitalisierungen und Volkswagen

In dieser Woche erfuhr ich von einem jungen Mann im Rollstuhl, der bei Audi ein Praktikum angefangen hat. Audi gehört zur Volkswagen Aktiengesellschaft und dieses Unternehmen - Volkswagen - hat im letzten Jahr den Inklusionspreis des Unternehmensforums gewonnen.


"Volkswagen investiert kontinuierlich in Barrierefreiheit. Neubauten werden generell barrierefrei errichtet, darunter auch rund 120 Arbeitsplätze für Mitarbeiter mit Handicaps in einem neu erbauten Logistikzentrum in Wolfsburg. Wo es erforderlich ist, werden Gebäude umgestaltet. So wurden barrierefreie Arbeitsplätze, Betriebsrestaurants und Waschräume geschaffen.", war da zu lesen.
Besonders gelobt wurde Volkswagen für eine Arbeitsgruppe Inklusion, die Inklusionsaktivitäten im Unternehmen koordiniert und weiterentwickelt.

Zusätzlicher Türgriff
Soviel zum Glanzpapier des Unternehmensforums.

In dem Artikel über das Praktikum des jungen Mannes im Audi-Zentrum Osnabrück (übrigens ein ganz neues Gebäude) liest sich das anders: Die Firma sei "noch nicht hundertprozentig auf Menschen mit Handicap eingestellt". Darunter würde ich verstehen, dass vielleicht ein leicht nutzbarer Türgriff fehlt, wie dieser hier: nach mehreren Verhandlungen mit dem Vermieter über Sinn, Machbarkeit und Denkmalschutz ist dieser zusätzliche Türgriff jetzt am Eingang zur Geschäftsstelle meines Arbeitgebers angebracht, um Menschen mit einem kleineren Aktionsradius oder weniger Kraft den selbständigen Ein- und Ausgang zu erleichtern.

Doch bei Audi meint man mit "noch nicht hundertprozentig barrierefrei" einen fehlenden Lift und einen fehlenden rollstuhlgerechten Parkplatz für Pkws. (Ich vermute mal, dass die Toilette dann auch fehlt.) - Wie auch immer: jedenfalls alles andere als preisverdächtig.

An diesem Wochenende werde ich mir mal die Arminius-Markthalle näher ansehen. Der Beirat von und für Menschen mit Behinderung, in dem ich mitarbeite, hat sich an die Bezirksverordneten Berlin-Mitte gewandt, um erneut auf die fehlende Barrierefreiheit der historischen Markthalle und gleichzeitig des Veranstaltungsortes hinzuweisen: noch immer hat die Markthalle keine barrierefreien Eingänge und keine rollstuhlgerechte Toilette. Seit 2010 hat der Betreiber mit einer "Revitalisierung" begonnen, so nennt er den Umbau der Markthalle hin zu einem "guten, dritten Ort" für Markt, Kunst, Kultur und Bürgerbeteiligung. Noch immer ohne Barrierefreiheit - das werden wir (hoffentlich) ändern: durch eine Begehung/Berollung und die anschließende Thematisierung im Ausschuss für Bürgerdienste.

Bürgerbeteiligung, Markt, Kunst, Kultur - all das erreicht Menschen nur, wenn die Angebote barrierefrei sind. Für mich ist das nicht preisverdächtig. Sondern selbstverständlich.


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Waffenteile in WfbM, Fahrstuhl-TÜV und Kitas ohne Kinder

In dieser Woche war ich in einen fächerverbindenden Unterricht zum Thema "Albert Schweitzer" und seiner "Ehrfurcht vor dem Leben" eingebunden, für die erste der 5. Klassen an unserem Gymnasium. Albert Schweitzer würde am 14. Januar 2025 seinen 150. Geburtstag feiern. Albert Schweitzer Quelle: Wikipedia Oft bin ich überrascht und beeindruckt, was für Ideen und Fragen die Fünftklässler entwickeln: Wäre Albert Schweitzer heute für Inklusion? Welche Einstellung hätte Albert Schweitzer heute zum Ukraine-Krieg? In Zusammenhang mit dem fächerverbindenden Unterricht haben wir auch eine Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) nicht nur besucht, sondern gemeinsam gearbeitet und beim Gegenbesuch gemeinsam Sport getrieben. Wie finden Sie es, liebe Leserinnen und Leser, dass in einer WfbM eines christlichen Trägers durch Menschen mit Behinderung auch Waffenteile (nach Aussage der Werkstatt nur für den zivilen Gebrauch) hergestellt werden? Wir erfuhren beim Werkstattrundgang auc...

Kann ein UNESCO-Schulfest heute noch exklusiv sein? Oder wollen "die" wirklich nicht?

Der Festzug aus der Perspektive hinter der Absperrung.  Morgen ist es wieder so weit. Die Kamenzer Schülerinnen und Schüler ziehen mit Blumen und in festlicher weißer Kleidung durch die Kamenzer Innenstadt, um das Forstfest, DAS sächsische Heimat- und Schulfest, zu begehen. Das Forstfest geht auf eine Legende zurück, bei der Kinder in weißer Kleidung in den Kamenzer Forst zogen, um eine Belagerung der Stadt durch die Hussiten zu verhindern - erfolgreich. Seit 2021 ist das Kamenzer Forstfest nun auch noch in das  Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen worden. Grundlage dafür ist ein Übereinkommen der UNESCO, das Deutschland unterschrieben hat. Und bei der UNESCO geht es nicht nur um Kultur, sondern immer auch um Bildung, um inklusive Bildung. Und inklusiv - das ist das größte sächsische Heimat- und Schulfest wirklich nicht.  Am oben beschriebenen Festzug nehmen alle Grundschulen, Oberschulen und das Gymnasium teil, die Förderschulen nicht. Es gib...

Korrektur letzter Post

 Liebe Leserinnen und Leser, nach Rücksprache mit der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), von der ich im letzten Post berichtete, werden dort keine Waffenteile hergestellt. Das, was dort passiert, ist das Recyceln von Transportbehälterdeckeln. Falls ich das missverstanden haben sollte, bitte ich um Entschuldigung. Bezüglich des Stadtjubiläums wurde mir versichert, dass sowohl vonseiten der Stadtverwaltung als auch vonseiten der WfbM geplant ist, die Arbeit der Werkstattbeschäftigten angemessen wertzuschätzen und sie in das Stadtjubiläum einzubinden.