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Mehr als 1000 Positionspapiere

Neulich nahm ich als Bürgerdeputierte an einer Bezirksverordnetenversammlung (BVV) in Berlin teil, weil es auch um Themen der Barrierefreiheit ging. Schon beim Ankommen bemerkte ich Kameras und dachte aber eher an eine Aufzeichnung der BVV im Sinne der Transparenz als an Reporter.

In dieser Bezirksverordnetenversammlung arbeitet auch Martin Zierold, der erste taube Abgeordnete Deutschlands. In der Pause unterhielten wir uns - zum Teil in Gebärdensprache (ich lerne ein paar Gebärden), zum Teil mit Übersetzer, zum Teil ohne. Für Martin ist es übrigens auch selbstverständlich, dass er sich immer an meine Sitzhöhe anpasst, um mit mir auf Augenhöhe zu sein.

Wir unterhielten uns auch über die - jetzt schon vergangene - Veranstaltung im Paul-Löbe-Haus, zu der Martin eingeladen war, und ich schloss mit den Worten "Sei kritisch!". Die Gebärde für Protest ist eine Handbewegung mit einer geballten Faust und mit dieser Geste - zwei gegeneinander geballten Fäusten - verabschiedeten wir uns.

Aus den Augenwinkeln konnte ich beobachten, dass die Kameras in der Zwischenzeit auf uns beide gerichtet waren. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass das ZDF eine Reportage über Martins Arbeit im Parlament drehte.

Weshalb ich diese Anekdote erzähle? Mehr als 1000 Worte oder auch 1000 Positionspapiere zur Inklusion drückte wahrscheinlich unsere Unterhaltung in einem Berliner Rathaus aus: Inklusion und politische Teilhabe - einfach gemacht, einfach umgesetzt.

Und noch einen Grund gibt es: Ich möchte allen Unternehmen und Unternehmern Mut machen, das Wagnis einzugehen, Menschen mit Behinderung einzubeziehen und zu beschäftigen.
Denn neben der zusätzlichen Leistung ist der positive Imagegewinn für das Unternehmen nicht zu unterschätzen!

Ich arbeitete einmal bei einem großen Bildungsträger, bei dem sich auch regelmäßig private UnternehmerInnen und Arbeitnehmer zu Kursen anmeldeten. Wenn sie mir auf dem Flur oder vor dem Fahrstuhl begegneten, stellten sie schon manchmal die Frage:

"Sie arbeiten hier?"
"Ja!"
"Eine Bürotätigkeit sicherlich?"
"Nicht direkt, ich bilde Jugendliche aus."

Die Reaktion darauf war immer postiv und angenehm überrascht. In meiner gesamten beruflichen Laufbahn, als Sozialarbeiterin, Sozialpädagogin, Bildungsbegleiterin, Treffleiterin,  Beraterin für med.-pflegerische Hilfen ist die Neugier von Kunden, Klienten, Schülern, Auszubildenden und Eltern fast immer in positive Wahrnehmung und Anerkennung umgeschlagen.

Und so war eine der schönsten Rückmeldungen die einer Auszubildenden - (die im allgemeinen nicht für ihre einfühlsame, sozial kompetente Art bekannt war ;) : "Ich hab vergessen, dass Sie im Rollstuhl sitzen!"

Das einzige, was ein Mensch mit Behinderung dafür braucht, ist: eine Chance.

"Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht  wagen, ist es schwer." Seneca

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