Direkt zum Hauptbereich

Perfektion ist der Feind der Inklusion und Barrierefreiheit ist kein Flaschengeist - Perfection is the enemy of the inclusion and Accessibility is not genie in a bottle

Nach meiner gestrigen Absage heute mal ein paar Gedanken zur Perfektion:

Perfektion ist nicht nur der Feind des Guten, sondern auch der Inklusion. Für mich ist der Kern der Inklusion das Aufeinanderzugehen, das Miteinander, das gemeinsame Finden individueller Lösungen.

Gerade lese ich, dass die nächste Sendung von "Selbstbestimmt" den Titel "Das Unmögliche denken" tragen wird. Klar, ist es toll, wenn Rollstuhlfahrer Segelfliegen können oder Amputierte modeln, aber haben wir auch den Blick für das Einbezogensein, das Inklusive in den alltäglichen Dingen? Der Bäcker, der eine Rampe ohne Stufe anbaut, der Friseur, der eine Sitzerhöhung bereit hält, die Verpackungen von Medikamenten, die mit Braille-Schrift versehen sind, oder der Gebärdensprachkurs, der in der Volkshochschule angeboten wird.
Meine Befürchtung ist, dass Inklusion eine Vision bleibt, weil wir damit verbinden, dass immer für alle und jeden und alles perfekt sein muss. Ist Inklusion wirklich erst dann erreicht? Kann wirklich immer alles für jeden perfekt sein? 

Beispiel Schule: Klar, wäre es schön, wenn alle Schulen für alle Schüler barrierefrei wären. Aber leider bin ich nicht die bezaubernde Jeannie und Barrierefreiheit ist kein Flaschengeist.



Die Frage stellt sich für mich: Ist eine Schule erst dann inklusiv, wenn sie für jeden perfekt ist? Oder ist eher der Weg das Ziel - kleine Schritte, gemeinsame, kreative Lösungen: das gemeinsame Sportfest, die gemeinsame Exkursion, der barrierefreie Hort, auch wenn die Schule noch nicht barrierefrei ist. 

Oder im Erwerbsleben: Kann in der barrierefreien Büroetage ein Mitarbeiter mit Handicap arbeiten, auch wenn der gesamte Betrieb noch nicht barrierefrei ist? Oder bekommt das Restaurant, das zwar stufenlos erreichbar, aber ohne Toilette ist, das Siegel "zugänglich"?

Nutzen wir all die Möglichkeiten auf dem Weg zur Inklusion? Im Erwerbsleben fallen mir da Arbeitsplatzausstattung, EingliederungszuschussMinderleistungsausgleich und Arbeitsassistenz ein.

Manchmal wirkt es auf  mich, als ob das große Wort Inklusion oder Barrierefreiheit Angst macht und wir erstarren und deshalb lieber gar nichts wagen.

Doch etwas wagen, riskieren, Fehler machen, verändern - das ist Leben. Es gibt in der Rechtsprechung den Begriff des "leidensgerechten Arbeitsplatzes" - ich möchte lieber einen, der meinem Leben gerecht wird: ein Leben mit Kompromissen, mit Umwegen, mit Lösungen. Miteinander.


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Kann ein UNESCO-Schulfest heute noch exklusiv sein? Oder wollen "die" wirklich nicht?

Der Festzug aus der Perspektive hinter der Absperrung.  Morgen ist es wieder so weit. Die Kamenzer Schülerinnen und Schüler ziehen mit Blumen und in festlicher weißer Kleidung durch die Kamenzer Innenstadt, um das Forstfest, DAS sächsische Heimat- und Schulfest, zu begehen. Das Forstfest geht auf eine Legende zurück, bei der Kinder in weißer Kleidung in den Kamenzer Forst zogen, um eine Belagerung der Stadt durch die Hussiten zu verhindern - erfolgreich. Seit 2021 ist das Kamenzer Forstfest nun auch noch in das  Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen worden. Grundlage dafür ist ein Übereinkommen der UNESCO, das Deutschland unterschrieben hat. Und bei der UNESCO geht es nicht nur um Kultur, sondern immer auch um Bildung, um inklusive Bildung. Und inklusiv - das ist das größte sächsische Heimat- und Schulfest wirklich nicht.  Am oben beschriebenen Festzug nehmen alle Grundschulen, Oberschulen und das Gymnasium teil, die Förderschulen nicht. Es gib...

Waffenteile in WfbM, Fahrstuhl-TÜV und Kitas ohne Kinder

In dieser Woche war ich in einen fächerverbindenden Unterricht zum Thema "Albert Schweitzer" und seiner "Ehrfurcht vor dem Leben" eingebunden, für die erste der 5. Klassen an unserem Gymnasium. Albert Schweitzer würde am 14. Januar 2025 seinen 150. Geburtstag feiern. Albert Schweitzer Quelle: Wikipedia Oft bin ich überrascht und beeindruckt, was für Ideen und Fragen die Fünftklässler entwickeln: Wäre Albert Schweitzer heute für Inklusion? Welche Einstellung hätte Albert Schweitzer heute zum Ukraine-Krieg? In Zusammenhang mit dem fächerverbindenden Unterricht haben wir auch eine Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) nicht nur besucht, sondern gemeinsam gearbeitet und beim Gegenbesuch gemeinsam Sport getrieben. Wie finden Sie es, liebe Leserinnen und Leser, dass in einer WfbM eines christlichen Trägers durch Menschen mit Behinderung auch Waffenteile (nach Aussage der Werkstatt nur für den zivilen Gebrauch) hergestellt werden? Wir erfuhren beim Werkstattrundgang auc...

Um was geht es hier eigentlich? oder "Wer Inklusion will, findet Wege. Wer nicht, Begründungen."

Liebe Leserinnen und Leser, in dieser Woche war Vorbereitungswoche. Morgen beginnt das Schuljahr 2023/2024. Also Zeit für uns Pädagoginnen und Pädagogen für Vorbereitung und gegenseitige Fortbildung. Deshalb habe ich gemeinsam mit einer Kollegin über unsere Fortbildung via Erasmus+ in Nizza berichtet: "Designing Inclusive Learning Environments to Support all Students" (Inklusive Lernumgebungen schaffen, um alle Schüler zu unterstützen). Ein Bild, das ich dabei nutzte, war dieses: Das Bild zeigt drei unterschiedlich große Menschen, die hinter einer Absperrung stehen, um ein Ballspiel zu sehen. Alle drei bekommen denselben Kasten, auf dem sie stehen können. Dabei sieht der Kleinste immer noch nichts. Nur wenn der größte Mensch seinen Kasten an den kleinsten abgibt, kann der körperlich Kleinste auch etwas sehen. Im dritten Bild ist die Absperrung durch ein Netz ersetzt und alle können das Spiel sehen. Überschrieben ist dieses Bild mit "Gerechtigkeit". Soll heißen, wenn...