Sonntag, 15. März 2020

Inklusion und Infektionsrisiko

Liebe Leserinnen und Leser,
Ottmar Miles-Paul, ein Kollege aus der Behindertenrechtsbewegung, den ich schon lange kenne und schätze, schreibt in seinem Artikel "Wenn Visionen Realität werden" zu den aktuellen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Corona-Virus auf kobinet-nachrichten.org:


"Sie zeigen, wenn es gewollt wird, bzw. notwendig ist, sind Veränderungen möglich, die man zum Teil nicht einmal zu denken gewagt hat."

Bezogen auf die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen hat Ottmar folgende Wünsche und Fragen, die ich hier noch einmal teilen möchte:

"Kann Barrierefreiheit vielleicht wirklich mal zum Standard werden und können bestehende Barrieren gezielt abgebaut werden, weil sich mehr Menschen darüber bewusst werden, was diese für sie bewirken? … Schaffen wir es, dass an ... Aktivitäten auch diejenigen barrierefrei mitwirken können, die behinderungsbedingt oder aus finanziellen Gründen einen solchen Aufwand nicht schaffen? …
Vielleicht bietet diese Krise, die sehr viele Menschen gesundheitlich, wirtschaftlich und sozial massiv trifft, auch Chancen für eine andere Art und Weise in dieser Welt und mit anderen inklusiv und barrierefrei zusammen zu leben, zusammen zu arbeiten, zusammen die Freizeit zu verbringen, zusammen etwas zu bewegen und zusammen dafür zu sorgen, dass es uns allen besser geht?"
Ich möchte diesen Wünschen noch einen Gedanken hinzufügen: 
Vielleicht ist diese Krise auch ein Anlass dafür, darüber nachzudenken, ob die immer noch bestehenden Einrichtungen, in denen z. T. Hunderte von Menschen mit Beeinträchtigungen miteinander wohnen oder auch arbeiten und unter sich bleiben, auch aus Gründen des Infektionsrisikos nun endlich durch kleinere, familienähnliche, inklusive Einheiten in einer barrierefreien Umwelt ersetzt werden.


Seifen - Quelle: pixabay


Denn: Klar, es gibt ein Ansteckungs- und Infektionsrisiko in öffentlichen Räumen. Noch mehr gefährdet sind allerdings Menschen, die in Einrichtungen wie Pflegeheimen und Werkstätten für behinderte Menschen sowie Wohnheimen für Menschen mit Behinderung leben oder arbeiten.

Ganz konkret: 2015 gab es in Deutschland immer noch über 2200 Pflegeeinrichtungen, in denen mehr als 100 pflegebedürftige Menschen unter einem Dach lebten.

Im Bereich der Menschen mit Behinderungen stieg sowohl die Zahl der Kinder wie auch der Erwachsenen, die in stationären Einrichtungen leben, seit 2008 sogar noch an. 
In Zahlen: zwischen 2008 und 2014 stieg die Zahl der Menschen, die in stationären Wohnreinrichtungen der Eingliederungshilfe lebten, um 16 Prozent von 167.161 auf 193.770 Personen. 
Auch die Zahl der Kinder, die Eingliederungshilfe in stationären Wohneinrichtungen erhielten, stieg zwischen 2008 und 2014 um 29 Prozent auf 12.995.
Fazit: Trotz des Trends hin zum ambulanten Wohnen ist es bundesweit also nicht gelungen, Plätze in stationären Einrichtungen abzubauen.  Und in all diesen Einrichtungen ist das Infektionsrisiko ungleich höher.

Liebe Leserinnen und Leser, falls Sie also in den kommenden Tagen und Wochen verstärkt über Infektionsrisiken nachdenken - Inklusion und Barrierefreiheit senken das Infektionsrisiko.

(Dasselbe gilt übrigens auch für den Brandschutz - hier nachzulesen...)


  

"Heute Nachmittag Café Klostertor?"

Liebe Leserinnen und Leser, "Heute Nachmittag Café Klostertor?", war die Reaktion meiner Schulleitung, als ich ihr in dieser Woche...