Sonntag, 8. Dezember 2013

Vom unperfekten Anfang - der 3. Dezember in Sachsen

Projekt Behinderung neu denken
Behinderung neu denken
Ich berichte heute über die Veranstaltung "Behinderung neu denken", die ich am 02. Dezember aus Anlass des Internationalen Tages der Menschen mit Behinderung in Dresden besucht habe.

Sachsen gehört zu den 5 der 16 Bundesländer, die noch keinen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention entwickelt haben (fast 5 Jahre nach Inkrafttreten). Die Landeshauptstadt Dresden hat am 11. Juli 2013 einen Aktionsplan beschlossen.

Die Behindertenbeauftragte der Stadt Dresden, Frau Müller, gab zunächst einen Überblick über den Stand der Umsetzung - im Bundesdurchschnitt und in Dresden. Obwohl Deutschland mittlerweile eine hohe Inklusionsquote von 83% (S. 86) für Kinder, die Eingliederungshilfe beziehen, im Kita-Bereich erzielt, sind die Zahlen der einzelnen Städte und Bundesländer doch sehr unterschiedlich, in der Stadt Dresden liegt sie bei ca. 37% (S. 18). Je höher der Bildungsgrad, umso weniger werden Menschen mit Behinderung daran beteiligt. Das hat zur Folge, dass jeder 2. Erwachsene mit Beeinträchtigungen im Alter zwischen 20 und 64 keinen oder einen geringen schulischen Bildungsabschluss (Seite 111) hat. Noch eine Zahl zu barrierefreiem Wohnraum in Dresden: der Bedarf an barrierefreiem Wohnraum ist in Dresden zu 10% gedeckt, so die Behindertenbeauftragte.

Eleanor Roosevelt mit der AEMR
Im anschließenden Vortrag gab uns die Geschäftsführerin der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben e. V., Dr. Sigrid Arnade, einen Überblick über das Zustandekommen und die Bedeutung der UN-Behindertenrechtskonvention - von Behinderung als lebensunwertes Leben über das medizinische Modell von Behinderung bis hin zu einem sozialen Modell und dem modernen menschenrechtlichen Modell. Behinderung entsteht demnach aus der Wechselwirkung zwischen Beeinträchtigungen und umweltbedingten, einstellungsbedingten und kommunikativen Barrieren.

Das heutige menschenrechtliche Modell von Behinderung basiert auf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) aus dem Jahre 1948, obwohl dort Behinderung, Alter oder auch sexuelle Orientierung als Diskriminierungsgründe noch nicht extra aufgeführt sind.

Arnade hält die strukturelle Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention für gelungen: Inklusionsbeirat, Monitoringstelle und die staatliche Anlaufstelle beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales sind geschaffen. Praktisch und inhaltlich umgesetzt sei sie nicht.

Das kann ich nur bestätigen, wie sonst ist es zu erklären, dass auch im 5. Jahr nach der Ratifizierung einer UN-Konvention die Umsetzung auf Landesebene ungestraft ignoriert werden kann?

Die fehlende Praxis konnte ich als Veranstaltungsteilnehmerin auch an der Veranstaltungsorganisation erkennen: Glastüren waren für sehbehinderte Menschen nicht gut zu erkennen, Stehtische halte ich bei solchen Themen auch eher für ungeeignet und ein Saal mit 5 Gesprächsrunden, die parallel als Geräuschkulisse laufen, sind für Hörbehinderte wirklich ein Problem. Und schließlich das stille Örtchen: wenn ich während einer Veranstaltung nur eine rollstuhlgerechte Toilette habe, die in einer 10-Minuten-Pause von mehreren Rollstuhlfahrern genutzt werden soll, dann ist das einfach zu knapp.

Im Gedächtnis geblieben ist mir noch eine Anmerkung: "Inklusion braucht keinen Perfektionismus." Damit ist gemeint, dass es besser ist, mit ersten Schritten zur Inklusion anzufangen, als gar keine zu gehen. Als Beispiel: Mit Anja Apel, einer Politikerin im Dresdner Stadtrat, unterhielt ich mich über die Übertragung der Stadtratssitzungen, die zur Zeit weder in Gebärdensprache noch mit Untertiteln erfolgt. Die Kombination aus beidem - Gebärdensprache und Untertiteln - ist die beste Lösung, eines davon umzusetzen wäre ein Anfang.

In diesem Sinne wünsche ich einen unperfekten Sonntag mit vielen Anfängen!

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