Freitag, 30. Dezember 2011

"Normalerweise stelle ich hier die Diagnosen?!" - "Normally I identify the Diagnosis!"

Angeboren und gewöhnt?

Manchmal werde ich gefragt: "Ist Ihre Behinderung angeboren oder erworben?" (übrigens auch von Krankenschwestern und die müssten es eigentlich besser wissen). Wenn dann meine Antwort "angeboren" lautet, kommt oft die Antwort "Na, dann sind Sie ja daran gewöhnt, dann ist es ja nicht so schlimm!"

Ich finde, das ist eine ziemlich einfältige Antwort. Sicher, es gab nie diesen Tag X, aber ich bin mir der Grenzen, die mir das Handicap auferlegt, durchaus bewusst.

Ich bin geboren in einer Zeit (in den 70ern), in der Weg eines behinderten Kindes vorbestimmt war, vorbestimmt von Sondereinrichtungen (Schule, Internat) und von Krankenhausaufenthalten, Therapien und Experten, Experten in weißen Kitteln, Psychologen, Therapeuten, Sonderpädagogen.

Mein Körper war etwas zu Behandelndes, zu Heilendes: die Haut einzucremen war Dekubitusprophylaxe, die Badewanne diente der Hautreinigung und -desinfektion und Sport gab es nur als Therapie, um möglichst normal zu werden. Laufen wie alle anderen, funktionieren wie alle anderen.

Mehr als zwei Dutzend Operationen, ca. 60 Krankenhausaufenthalte zeugen von dem zum Teil verständlichen Wunsch nach Heilung und Verbesserung. Nicht in allen Fällen war es mein Wunsch, sondern auch der von Ärzten und Therapeuten, die der medizinische Ehrgeiz packte.

Das war es, was ich gewöhnt war.


Das alles ist zum Glück lange her und wird auch nie wieder so sein!

Wenn ich heute zum Arzt gehe, beraten wir beide eine Therapiemöglichkeit. Das Ziel ist nicht das Maß der Anderen, sondern meine individuelle Lebensqualität.

Zugegeben, neulich hat es einem jungen Neurochirurgen die Sprache verschlagen, als ich nach einer klaren Beschreibung meiner Symptomatik, meiner vermuteten Diagnose auch noch die entsprechende Art der Therapie und Nachuntersuchung vorschlug... Sein einziger Kommentar dazu: "Normalerweise stelle ich hier die Diagnosen?!"

Heute kaufen sich Kolleginnen und Freundinnen neue Schuhe und Tücher, damit sie mit meiner Farbauswahl mithalten können. Ich liebe heute Cremes und Düfte und bringe nie ohne Lippenstift den Müll raus.

Eine (für diesen Post) letzte Episode, die das "Lange her" beschreibt: Beim Drachenbootrennen unter Kollegen im letzten Jahr war klar, dass ich mit aufs Boot komme. Meine Kollegen hatten mir einen Sitz gebaut, der an ein Kettenkarussell erinnerte, damit ich nicht wegrutsche. Wir haben trotzdem oder gerade deswegen gewonnen!




Vielfalt ist eben doch Reichtum!

Und ein bisschen Neid gab es dazu: Noch nie ist eine Frau von ihrem Ausbilderkollegen bei diesem Rennen auf Händen ins Boot getragen worden. Naja, auf den Arm genommen trifft es wohl eher...

Same Procedure... oder doch irgendwie anders

Das muss heute einfach sein...

Mittwoch, 28. Dezember 2011

Sekt und Salutogenese - Champagne and Salutogenesis

Ich beschäftige mich seit einiger Zeit mit einem gar nicht so neuen, aber doch immer noch unbekannten Konzept über das, was Gesundheit ist: Salutogenese.

Salutogenese heißt wörtlich übersetzt: Gesundheitsentwicklung.

Gesundheit wird betrachtet als Teil eines Kontinuums zwischen gesund und krank: niemand ist nur gesund oder nur krank.

Ausgangspunkt war eine von Aaron Antonowsky im Jahre 1970 entwickelte Forschungsarbeit über die unterschiedliche Anpassungsfähigkeit von Frauen an die Menopause. 1970 war das, das heißt, viele der Probandinnen um die 50 hatten auch die Nazi-Diktatur miterlebt, einige davon auch in einem der Konzentrationslager.

Das Ergebnis überraschte: 30 % aller KZ-Überlebenden wurden als gesundheitlich stabil eingeschätzt.

Was also hält Menschen trotz solcher extremer Belastung und traumatischer Erlebnisse gesund?

Antonowsky stellte bei seinen Überlegungen den Kohärenzsinn, ein Sinn für Zusammenhänge könnte man übersetzen, als Gesundheitsressource in den Mittelpunkt.

Der Kohärenzsinn beschreibt, wieviel Vertrauen eine Person darin hat, dass sie die Anforderungen des Lebens verstehen, handhaben und ihr ein Gefühl von Bedeutsamkeit vermitteln können.




Insofern hat es eine andere, viel weitere Bedeutung, wenn ich sage:

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern meines Blogs ein gesundes neues Jahr mit Herausforderungen, die es wert sind, sich anzustrengen!

Mit freundlicher Genehmigung von Blackcat

Dienstag, 27. Dezember 2011

Tanten, Stopschilder und Traumberufe

Mit dem gleichen Herzblut, mit dem ich meinen Beruf ausübe, bin ich Tante von drei Kindern zwischen 5 und 16.

Inzwischen ist es Tradition geworden, dass mindestens einmal im Jahr einer der drei Ferien in der Hauptstadt macht.

Als der Mittlere von seinem großen Bruder hörte, was der in Berlin alles erlebt hatte, wollte er unbedingt auch mal Ferien bei seiner Tante machen.

Also fragte er mich, ob er mich auch mal besuchen könne, Damals war er 5.

Ich antwortete: "Klar, du kannst mich besuchen. Aber unter einer Bedingung: du musst auf mich hören."

Ich erklärte ihm, dass es in der großen Stadt viele Autos gäbe. Und dass ich ihm mal eben nicht hinterher rennen und am Straßenrand festhalten könne, wenn er losrennt. "Wenn ich Stop sage, dann hörst du auf mich und nicht erst 5 Minuten später, wenn du schon unterm Auto liegst."

"Also", schloss ich ab, "du musst auf mich hören."

Er überlegte kurz: "Immer?"

"Ja, immer."

"Dann muss ich mir's noch mal überlegen."

"Gut, mach das."

Keine 15 Minuten später: "Ich hab's mir überlegt: ich komme doch mit!"



Für mich immer wieder faszinierend: Kinder spüren instinktiv, wann eine Ansage ernst zu nehmen ist.

In den nachfolgenden Ferien hatten wir viel Spaß miteinander, bis auf einen Einkaufsbummel in einem riesigen Center.

Wir durchstöberten die Kinderbuchabteilung, d.h. ICH vertiefte mich in die Lektüre, und als ich mich wieder umsah, war der kleine Kerl aus meinem Blickfeld verschwunden. Ich fragte andere Kunden, die Verkäuferinnen - nichts, niemand hatte den kleinen Jungen gesehen.

In Panik ging ich zum Infostand, um nach meinem Neffen suchen zu lassen: blond, Jeans, Turnschuhe - ich hatte das Gefühl, an diesem Tag sahen alle Jungs im Einkaufszentrum so aus.

Ich war mit meinen Nerven am Ende, als die Dame vom Infostand den Sicherheitsdienst losschickte, um nach meinem Ferienkind zu suchen. Die Lösung war relativ einfach: neben dem Buchladen war ein Elektronikmarkt, dort fanden sie ihn. (Hätte ich mir gleich denken können...)

Was dann kam, sehe ich noch vor mir als wäre es heute: Ein Sicherheitsbeamter in Uniform vor ihm, ein Sicherheitsbeamter in Uniform hinter ihm, mein Neffe stolz wie Bolle und alle drei fuhren sie die Rolltreppe herunter.

Unten angekommen fragte mich der Kleine mit strahlenden Augen: "Hast du die alle für mich bestellt?"

Sein größter Traum (zu diesem Zeitpunkt) war es, Polizist zu werden. Meiner, gemeinsam nach Hause zu kommen.

Donnerstag, 22. Dezember 2011

Ein Anfang - First Step

Quelle

Eigentlich wollte ich heute was über unser Gesundheitssystem schreiben, aber jetzt geht es mir doch um den in den Medien immer wieder auftauchenden Begriff der Inklusion.

Inklusion bedeutet wörtlich übersetzt Einschluss. Es ist ein Konzept für das Zusammenleben von Menschen. Soziale Inklusion ist erreicht, wenn jeder Mensch, unabhängig von seiner Herkunft, seinem Alter, seinen gesundheitlichen Voraussetzungen, seinen Fähigkeiten und Begabungen, von der Gesellschaft (was auch immer man darunter verstehen mag) akzeptiert wird und die Möglichkeit hat, gleichberechtigt und freiheitlich an ihr teilzuhaben.

Insofern betrifft Inklusion nicht nur behinderte Menschen, sondern auch Menschen mit Migrationshintergrund, Hochbegabte, Senioren usw. und sie betrifft auch nicht nur den Schulbereich, sondern alle Bereiche der Gesellschaft: Wohnen, Teilhabe an Arbeit, Kultur, Politik. Vielfalt ist - wenn Inklusion gelingt - die Normalität.

Für mich ist Inklusion ein sozialpolitisches Konzept, ein Denkansatz und ein Prozess. Deutschland hat jetzt begonnen, besonders im Bereich Schule den inklusiven Denkansatz umzusetzen und bezieht sich dabei besonders auf die Teilhabe von Schülern und Schülerinnen mit sogenanntem sonderpädagogischem Förderbedarf. Nach der Definition von Inklusion müssten aber eben auch Schüler mit Migrationshintergrund oder Hochbegabungen einbezogen werden.

Grund für die Beschränkung auf behinderte Schüler ist die Umsetzung der UN-Kovention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, kurz Behindertenrechtskonvention (BRK) genannt, die Deutschland im März 2009 ratifiziert hat. Und auch in dieser Konvention ist Bildung nur ein Teil des Aufgabenfeldes: es geht um Chancengleichheit, Teilhabe und Teilnahme. Um Abwendung von strukturellen Diskriminierungen, z.B. im BGB oder im Wahlrecht.

Um das für alle Menschen zu ermöglichen sind die Staaten auch aufgefordert, eine entsprechende Infrastruktur zu schaffen. Und da hat Deutschland noch eine Menge zu tun: Polizeidienststellen, Kindergärten, Schulen, Berufsschulen, Behörden, Ärztehäuser, Nachbarschaftszentren, Frauenhäuser, Beratungsstellen, Wahllokale - wirklich für alle zugänglich und nutzbar?

Wie gesagt, inklusive Bildung - es ist ein Anfang.

Dienstag, 20. Dezember 2011

Weil's gerade passt: Urlaubsreisen

In Anbetracht der bevorstehenden Urlaubstage und der Urlaubsreisen des Herrn W. eine kleine Anekdote aus meiner 1,30-Perspektive:

Wer in meinem "Damit, trotzdem und manchmal gerade deshalb" die lateinischen Begriffe verstanden hat, der weiß, dass ich mit einem Wasserkopf lebe. Deshalb befindet sich in meinem Kopf und Bauch ein magnetisch verstellbares Ventil zur Regulierung des Hirndruckes im Ventrikelsystem des Hirns nebst Ableitung des Hirnwassers in das Kapillarsystem des Bauchfells.

Das hat zur Folge, dass ich z.B. an Flughäfen nicht durch den normalen Check darf, sondern immer per Hand überprüft werde. Ich war noch nicht selbst in den USA, aber hier in Europa bin ich am meisten in Amsterdam gefilzt worden.

Bei einer Reise hatte ich mal eine akkubetriebene Hochdruckluftpumpe mit (totaler Fehlkauf, denn der Akku ist grundsätzlich immer leer, wenn es der Reifen auch ist).

Was ich aber eigentlich sagen wollte, dieser Kompressor hört sich - wenn er entriegelt ist und arbeitet - von der Lautstärke her wie ein Presslufthammer an.




Zurück zum Flughafen: Ich werde also gefilzt ohne Ende, auch unter dem Sitz und unter dem Rollstuhl. Mein Begleiter und ich, wir waren ohnehin spät dran, trennten uns wärend des Checks also: Ich war schon im Niemandsland, er noch mit dem Gepäck in der Kontrolle - da entriegelt sich die Akku-Luftpumpe und ein irres Geräusch war wirklich nicht zu überhören...

Nun versuchte ich aus dem Niemandsland heraus zu erklären, dass es sich lediglich um eine Luftpumpe handele, der Officer war aber inzwischen misstrauisch geworden und fand, dass sich dieser ratternde Quader auch gut zum Schmuggeln von weißem Pulver eignen würde und war drauf und dran, das Ding auseinander zu nehmen.

Blut und Wasser schwitzend zeigte ich auf die Rollstuhlräder und versuchte abermals, ihm klar zu machen, dass es sich um eine Luftpumpe handelt. Ich war verzweifelt...

Aber irgendwie stand unsere Kommunikation an diesem Tag unter einem schlechten Stern, weil er nun in meine Richtung kam, um das Kokain, dass ich seiner Meinung nach wohl dann in den Reifen versteckt hielt, zu beschlagnahmen.- Puh.

Ich weiß nicht mehr ganz genau, wie wir dann doch noch nach Hause gekommen sind (ich glaube, wir haben dann einen Flug später genommen), jedenfalls war ich aber wirklich froh, als wir endlich in der Luft waren - der Rollstuhl mit Rädern und Begleiter, die Pumpe und ich!

Sonntag, 18. Dezember 2011

Von Blindbewerbungen und Baumärkten

Ich war am Wochenende mit einer Freundin, die blind ist, unterwegs.

Wir haben uns auf einer Weiterbildung kennengelernt: Als wir uns gegenseitig berichteten, wie jede zu ihrem Job gekommen ist, habe ich ganz umständlich erzählt, dass die Stelle nicht wirklich ausgeschrieben war, ich mich aber trotzdem beworben hatte usw. Irgendwann unterbrach sie mich: "Sag doch gleich, dass du eine Blindbewerbung geschrieben hast?!"

Für mich ist diese Freundschaft ähnlich bereichernd wie vielleicht für Fußgänger, die meine Welt kennenlernen. Irgendwann bat sie mich, mit ihr Farben kaufen zu gehen, um ihre Wohnung malern zu lassen. Ihr sollte ihr "nur" bei der Auswahl der Farben helfen und sie ihr beschreiben. Ich kam mit meinem Wortschatz wirklich an meine Grenzen! Versuchen Sie doch mal beim nächsten Baumarktbesuch, die verschiedenen Sandtöne nur mit Worten zu unterscheiden...


Am Wochenende saßen wir also in einem Café, redeten und lachten und dann fragte sie mich: "Habe ich eigentlich ein Foto von dir? Damit ich das meinen anderen Freunden mal zeigen kann, wenn ich von dir erzähle." Ich verneinte.

Also machte sie ein Foto in meine Richtung, ließ mich das Bild ansehen und fragte mich: "Ist das was geworden?"

Meine Antwort: "Ja, das geht."

Dann wunderte ich mich noch, dass die anderen Gäste diese Szene ganz aufmerksam beobachteten. Als ich den Dialog zuhause nocheinmal Revue passieren ließ, wusste ich wieso.

Freitag, 16. Dezember 2011

Die Abschlepperin

Es geht los... es schneit.

Für mich die schwierigste Jahreszeit. Regen, Hitze, Wind - alles nicht so schlimm wie die Erfahrung, morgens um 6.30 Uhr mit den kleinen Vorderrädern 20 cm vom Auto entfernt in einer Mini-Schneewehe stecken zu bleiben. Oder wenn der Schnee zwar an die Seite geräumt wurde, aber ausgerechnet an die Bordsteinabsenkung.

Ich wohne in einer Gegend, in der Parkplätze Mangelware sind. Und obwohl es schon besser geworden ist, kommt es doch immer mal wieder vor, dass mein reservierter Parkplatz von Leuten genutzt wird, die da nicht hingehören. Nicht, dass ich nicht nachvollziehen könnte, wenn jemand mal kurz fürs Be- und Entladen halten will, aber wenn man lecker essen oder gar irgendwo übernachten will, kann ich das nicht nachvollziehen, wenn jemand auf einem reservierten Parkplatz parkt.

Die Ausreden dafür sind vielfältig: "Der Parkplatz wurde gerade nicht gebraucht." (Ich stehe auch nicht in der Feuerwehrzufahrt, mit der Begründung "Es brannte gerade nicht.")"Hab ich nicht gesehen." "Das war ein Noteinsatz." (... in der Kneipe).

Im Winter ist ganz besonders beliebt: "Ich konnte die Markierung wegen des Schnees nicht sehen. Und wusste nicht, ist der Parkplatz vor oder hinter dem Schild?" (kleiner Hinweis: die Kreuzung befindet sich auch immer hinter der Ampel und nicht davor).

Letzten Winter passierte Folgendes: An einem Tag war selbst die Hauptstraße vereist, die ich auf dem Rückweg von der Arbeit befuhr. Irgendwann tauchte ein Polizeiwagen mit Blaulicht hinter mir auf, der durchwollte. Auf vereister Fahrbahn in der rush hour mal eben rechts ran zu fahren, das dauerte etwas, dann aber kam das Polizeiauto durch.

Am nächsten Tag stand ein fremdes Fahrzeug auf meinem Parkplatz, also rief ich die Polizei. Die kam dann auch und dann fiel der Satz, der meinen Blog betitelt: "Ich kenne Sie doch?!" Zufällig waren das die gleichen Polizisten, die am vorangegangenen Tag über die vereiste Fahrbahn zu einem Einsatz wollten: "Sie waren doch gestern auf der Schönhauser Allee?! Da haben Sie aber ganz schön lange gebraucht, um rechts ran zu fahren. Und da habe ich zu meinem Kollegen gesagt: "Die Frau kenne ich, die hat schon mal jemanden abschleppen lassen." Ertappt...

Also: heute grüßt "die Abschlepperin" alle Stadtreinigungen, Winterdienste und "Heinzelmännchen", die auch mal zwischendurch den Schnee vom Auto oder Parkplatz fegen.

Von Feuern und Menschenrechten

Raul Krauthausen (auch ein Rollstuhlfahrer aus der Hauptstadt) hat in seinem Blog von den Schwierigkeiten berichtet, wenn 2 Rollstuhlnutzer gleichzeitig ein Kino besuchen wollen.

Ich hatte solche Erlebnisse auch schon - unter anderem im Tempodrom: Mit einem Freund gemeinsam, der auch im Rollstuhl sitzt, wollte ich mir die Show "Holiday on Ice" ansehen. Kaum saßen wir im Zuschauerraum, kam ein Sicherheitsbeauftragter auf uns zu: "Wer von Ihnen ist der Rollstuhlfahrer und wer der Begleiter?" Er bezog sich damit auf die (vermutete) Berechtigung, durch eine Person begleitet zu werden, die in meinem Schwerbehindertenausweis tatsächlich vermerkt ist.

Diesen Nachteilsausgleich habe ich immer als Berechtigung empfunden und ausgelegt, aber nie als Zwang, immer begleitet werden zu müssen. Für eine 24-Stunden-Begleitung (Bewachung müsste man eigentlich sagen) sind auch nirgendwo finanzielle Mittel vorgesehen...

Also antwortete ich "Das können Sie sich aussuchen!"

Diese Antwort fand der Sicherheitsbeamte nicht lustig.

"DER Begleiter geht nicht."

"Wie meinen Sie das?"

"Sie brauchen einen anderen!"

"Ich will aber keinen anderen."

"Der geht nicht. Der muss laufen können"

"Wozu? Er soll nicht Schlittschuh laufen, sondern nur zugucken."

"Damit er Sie hier rein und wieder raus bringen kann."

So langsam hörte auch das Publikum in den Reihen hinter uns mit...

"Ich weiß nicht, ob es Ihnen schon aufgefallen ist - ich bin hier schon drin."... "und wenn ich doch selbständig zu meinem Platz gekommen bin, dann ist doch die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich auch selbständig wieder raus komme, oder?!" Rumoren und Gelächter im Hintergrund....

"Wegen dem Brandschutz. Wenn ein Feuer ausbricht..."

"Wenn ein Feuer ausbrechen sollte, dann hilft auch nicht nur ein Begleiter, dann müssen mehrere Personen mit anpacken - 1 Rollstuhl, 4 Ecken, 4 Männer."

Keine Antwort.

"Und ich bin sicher, dass die anderen Zuschauer mithelfen werden, wenn so ein Fall eintreten sollte." Kopfnicken rundum...


Mit freundlicher Genehmigung von Hubbe Cartoons

Fazit: Bei allen Brandschutz- und Sicherheitsbegründungen frage ich mich, von wessen Sicherheit reden wir hier überhaupt? Wenn ich als Rollstuhlfahrerin aus genau diesen Gründen nicht die Aussichtsplattform im Fernsehturm besuchen darf - geht es dann um meinen Schutz oder darum, dass ich die Evakuierungswege der Anderen blockieren würde?

Was ist mit Dicken? Die nehmen auch mehr Platz weg...

Was ist mit Alten, die nicht mehr ganz so fit sind, um Hunderte Stufen zu bewältigen?

Und kontrolliert eigentlich jemand, ob es Besucher gibt, die einen Herzschrittmacher tragen? In Stresssituationen könnten die auch schlapp machen...


Oder wollen wir mal anfangen, volljährige Menschen mit sichtbarem Handicap als erwachsene, selbstbestimmte Menschen zu behandeln, die eigenverantwortlich Risiken abschätzen und eingehen können?

Ich - für meinen Teil - werde jedenfalls weiterhin mit der Begleitung meiner Wahl oder auch ohne Konzerte und Veranstaltungen besuchen, an Demonstrationen teilnehmen oder auch am Public Viewing. Ich werde weiter LEBEN.

Mittwoch, 14. Dezember 2011

Mobilität, Morgenpost, Modellprojekt


Ich weiß nicht, wie es in anderen Bundesländern gehandhabt wird, aber in Berlin bietet die Arbeitsagentur auch Mobilitätstrainings an, die inklusive sind.

Ne, das war ein Scherz. Was ich damit meine, ist, dass die "Rehaberater", also Berater für Arbeitsuchende mit Behinderungen bzw. Rehabilitanden nur in bestimmten Agenturen zu finden sind, dass es sein kann, dass ausgerechnet jemand, der in der Mobilität eingeschränkt ist und in Berlin-Buch wohnt, nach Charlottenburg zur Arbeitsagentur kommen muss.

Dann stehe ich nun also vor dem Empfangstresen in der Agentur für Arbeit - in meiner 1,25m-Höhe und kann nicht drüber gucken.

Nachdem ich der Dame zugerufen hatte, sie möge doch mal bitte über ihren Tresen gucken, hatten wir auch Blickkontakt...

"Wolln Se zu Reha? Ham Se 'n Ausweis?" Ich liebe diese Fragen...

Irgendwann war ich dann auch bei meiner Vermittlerin und die wiederum schickte mich zu einem Integrationsfachdienst (IFD) wieder zurück in meinen Heimatstadtbezirk. Der einzige Haken war, dass die Adresse nicht mehr stimmte und die neue auch in der Agentur keiner kannte... Fand ich nicht so schlimm, weil ich mir davon - ehrlich gesagt - nicht so viel versprach, unter anderem auch wegen der Wartelisten, bis man überhaupt einen Termin bekommt.

In den folgenden Wochen stieß ich auf eine Todesanzeige eines Mitarbeiters eben dieses IFD und dachte mir so, "dann brauchen die doch eine neue Mitarbeiterin"...

Und beim nächsten Facharztbesuch sehe ich doch ganz zufällig, dass in das Ärztehaus auch "mein" IFD eingezogen ist. Also nix wie hin mit meiner Bewerbungsmappe und mal nachgefragt, die Chefin kenne ich als Unterstützerin verschiedener früherer Projekte.

Aber auch da, wo es auf Kontinuität ankäme, das Gleiche: die eigenen Mitarbeiter sind selbst befristet eingestellt und wissen nicht, ob es weiter geht. Das Land Berlin schreibt mal wieder aus, könnte ja auch billiger gemacht werden. Und es gibt jetzt ein neues Berliner IFD-Modellprojekt "Übergang Schule-Beruf", auch erst mal befristet, na klar doch...

Diejenigen, die diesen Blog mitlesen und mich aus beruflichen Zusammenhängen kennen, werden jetzt schmunzeln (oder heulen oder wütend werden), denn solche Modellprojekte haben wir schon vor Jahren gemacht... und festgestellt, dass der Übergang Schule-Berufsausbildung und Unterstützte Beschäftigung einen eigenen IFD wert sind. Dazu brauchen wir nicht noch ein Modellprojekt, sondern einen fest verankerten Fachdienst.

Ich wollte gerade gehen, da kam eine Mitarbeiterin auf mich zu, die ich (nach ihrer Aussage) mit meinem "Hallo, hier bin ich!" wohl beeindruckt hatte. Und gab mir einen Ausdruck mit dem Stellenangebot, für das ich mich jetzt beworben habe. "Das könnte doch für Sie passen?!"

Tut es.

Dienstag, 13. Dezember 2011

Sonntag, 11. Dezember 2011

Was die Fernseh-Piraten von den anderen Piraten unterscheidet

Gestern war ich zu der Weihnachtsfeier der Pankower Piraten eingeladen. Und neben Glühwein und Mate-Tee ;) gab es natürlich auch Diskussionen und gute Gespräche über: Pflegestandards, Dienstleistungen im Sozialwesen, praktische Umsetzung von Inklusion, Energiepolitik, Verwaltungsverfahren im Zusammenhang mit ALG II, Schulentwicklung - viele gute inhaltliche Ansatzpunkte zur Arbeit.

Und das ist es, was die Basis dieser neuen Partei von denen, die man oft im Fernsehen sieht, unterscheidet: hier geht es um Themen und Inhalte.

Viele Menschen sind hingegen mittlerweile unzufrieden mit dem, was die neue Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus tut. Und ich bin es auch.

Ich gehöre zu den vielen Menschen, die in der neuen Fraktion auch eine Chance sahen, die eigenen Fähigkeiten und Interessen beruflich einzubringen und sich bewarben.

Ich habe das auch getan, verbunden mit einer Initiativbewerbung als Referentin zu Fragen von Integration, Inklusion und Teilhabe.

Bis heute habe ich weder einen Eingangsbescheid, Zwischenbescheid, Einladung oder Ablehnung erhalten, auch nicht nach nochmaliger schriftlicher Nachfrage.

Dabei hätte meine Fachkompetenz und Arbeitskraft neben der Außenwirkung ("Wir reden nicht nur von Inklusion, wir setzen sie auch um") auch noch interessante Vorteile für die Partei bzw. die Geschäftsstelle (das gilt übrigens auch für alle anderen Arbeitgeber in diesem Land): wenig Personalkosten, wenn ein Eingliederungszuschuss nach § 219 SGB III beantragt würde (könnte ich machen) und Finanzierung der Umbauten, die Barrierefreiheit ermöglichen nach § 237 SGB III.

Außerdem sind öffentliche Arbeitgeber nach § 82 SGB IX verpflichtet, schwerbehinderte Bewerber zu einem Bewerbungsgespräch einzuladen.

Liebe "Fernsehpiraten", ignoriert ihr das einfach?

Wenn ja, dann würdet ihr euch einreihen in die vielen anderen Arbeitgeber und Parteien in diesem Land, die ähnlich verfahren - und wärt doch nicht so neu und anders, wie ihr vorgebt zu sein.

Das wäre wirklich schade, denn auf Bezirksebene habe ich viel Positives erlebt: Menschen, die bereit sind, neue Fragen zu stellen, neue Wege zu gehen, Menschen, die zuverlässig und engagiert in der Sache sind.

Zu denen will ich gehören!

Freitag, 9. Dezember 2011

Erstes Fazit

Liebe Leserinnen und Leser,

heute ziehe ich ein erstes Fazit zu meinem ersten Blog:

Eigentlich habe ich damit nur angefangen, weil ich im Moment Zeit habe und es mal versuchen wollte.

Und dann war da noch so eine Mischung aus Neugier und Bedenken, was für ein Feedback ich bekommen würde: Interessiert das wirklich jemanden, was ich aus meiner 1,30m-Perspektive zu erzählen habe?

Ich habe Folgendes entdeckt:

1. Schreiben macht Spaß! Und bringt die Gedanken auf den Punkt.

2. Obwohl ich hier erst einen schriftlichen Kommentar gefunden habe, habe ich schon einige Rückmeldungen via Twitter, Facebook, Google+ oder auch mündlich erhalten:

"Willensstark", "zum Schmunzeln gebracht", "Chance, über den Tellerrand zu schauen", "mutig", "Frauenpower", "Piratenpolitik", "Prenzlberger Lokalkolorit", "ich lache trotzdem mal", "Mach weiter so!"...


Für all das bedanke ich mich!

Und es trifft ziemlich genau, wie ich lebe und wofür: stark, mutig, kämpferisch, aber nie bitterernst. Und ich glaube wirklich an den Wert von Integration - nicht (nur) im Sinne von "Das steht mir zu", sondern als gegenseitigen Prozess, als gegenseitigen Gewinn. Integration setzt Kreativität frei.

Eine kleine Geschichte von meiner Arbeit an einer Integrationsschule soll das belegen:

Es gab in einer 7. Klasse ein Mädchen, dass mit einer Gehbehinderung lebte, aber dennoch am Sportunterricht teilnahm. Sie war ziemlich beliebt und so einigte sich die Klasse eines Tages, dass alle zusammen ihr zuliebe bei einem Sprint in ihrem Tempo laufen, damit auch sie einmal nicht nur unter den Letzten war.

Im anschließenden Unterrichtsblock meldete sich eine andere Schülerin: "Ich bin in Chemie keine Leuchte und meinetwegen hat noch nie jemand freiwillig seine Chemiearbeit verhauen, damit ich besser dastehe. Das ist doch ungerecht?!"

Und dann entspann sich eine Diskussion über Vorteile, Nachteile, Nachteilsausgleiche, Schwächen, Stärken, Talente, Recht und Unrecht - eine Diskussion, die in keiner anderen Schulform so aufgekommen wäre. Für mich eine echte Stern(e)stunde!

Dafür lebe ich und dafür will ich schreiben und (wieder) arbeiten!

Der arme, nein, der kranke Poet


Liebe Leser, so fühle ich mich heute. Wir lesen uns später...

Mittwoch, 7. Dezember 2011

Neulich beim Friseur

Mein Friseursalon, den ich ansonsten gern nutze, hat vor dem Eingang zwei Stufen und deshalb hab ich mir neulich die Zeit genommen, mein Lieblingsthema "Barrierefreiheit" anzusprechen. Das war die Antwort:

"Sehr geehrte Frau Pohl,

vielen Danke für Ihre Email. In erster Linie möchte ich mich bei Ihnen für die lange Zeit, die sie bei uns Kundin sind bedanken.

Durchaus kann ich Ihr Problem diesbezüglich verstehen. Doch leider ist es uns nicht möglich aus Technischer Sicht dieses umzubauen, da es mit sehr hohen Kosten verbunden ist. Zum Haare waschen können wir Ihnen den Kindersitz anbieten. Durch diesen Sitz, können sie deutlich höher sitzen und sich problemlos die Haare waschen lassen.
Gerne möchte ich Ihnen unsere weiteren Salons anbieten in der Neumannstr. 69 und in der Greifswalders.8 wo wir auf Ihre behinderungsgerechten Bedürfnisse eingehen können, da diese Salons auf einer Ebene sind bzw. eine Rampe besitzen.
Wir würden uns über einen weiteren Besuch freuen und hoffen, dass es eventuell möglich für sie wäre, diese beiden Salons zu besuchen.

Des Weiteren wünsche ich Ihnen ein frohes Fest und besinnliche Feiertage.

Mit freundlichen Grüßen

A.W."


Und das ist meine:

"Sehr geehrter Herr W.,

ich habe Ihre Email erhalten.

Sie schreiben, dass es Ihnen aus "technischer Sicht" nicht möglich sei, "umzubauen, da es mit sehr hohen Kosten verbunden" wäre.

Ist es aus technischer Sicht nicht möglich, ein Paar mobile Auffahrschienen im Salon bereitzuhalten, für den Fall, dass Kunden mit Rollstuhl oder Rollator den Salon nutzen wollen? Wenn man einen Wäscheständer hinter einem Schrank verstauen kann, dann kann man es doch auch mit zwei Auffahrschienen tun.

Zur Kostenfrage: Unter Rampenspezialist sehen Sie, dass ein solches Paar Auffahrschienen 186,83€ kostet. Das entspricht weniger als 6,5 % des Umsatzes, den Sie nur mit mir als Kundin in der vergangenen Zeit gemacht haben.

Ist Ihnen Kundenzufriedenheit so wenig wert?

Mit freundlichen Grüßen

Ulrike Pohl"

P.S. Den Kindersitzvorschlag hab ich mal ausgelassen, sonst...grrrr

Montag, 5. Dezember 2011

Nicht nur im eigenen Saft - Mein Weihnachtswunsch

Nein, das wird jetzt kein Weihnachtsbratenrezept...


Ich habe kürzlich im Aktion-Mensch-Blog gelesen:

Gülay Acar, eine in der Türkei geborene Psychologin, die im Rollstuhl sitzt, und jetzt in Deutschland lebt, berichtet darüber, wie schwer es war, einen festen Arbeitsplatz zu bekommen.

Vielleicht bin ich deshalb gerade an dem Artikel hängen geblieben, weil das auch mein größter Weihnachtswunsch wäre: ein fester Arbeitsplatz. Denn - das ist Geständnis Nummer 2 in meinem Blog: Ich bin zur Zeit auf Arbeitssuche.

Wenn Sie meinen Blog bis hier her mitgelesen, mitgedacht, mitgeschmunzelt haben, dann wissen Sie auch, was ich suche: eine interessante Tätigkeit im Bereich Bildung, Politik, Schule, Training, Coaching, Jugendarbeit, Inklusion, Übergang Schule-Berufsausbildung.

Ich kenne viele Menschen mit Behinderungen, die einen Hochschulabschluss haben und trotzdem keine Chance, sich auf dem freien Arbeitsmarkt zu beweisen und integriert zu sein. Viele von ihnen schaffen sich ihre Arbeitsplätze selbst - in Vereinen, bei freien Trägern, in Projekten.

Das ist ein Anfang, ja. Was in unserer Gesellschaft oft fehlt, ist der Mut, aus den unzähligen meist sehr erfolgreichen Modellprojekten neue Realitäten werden zu lassen. Als Arbeitskraft mit (oder auch ohne) Behinderung bleibt man dann meist in den Vereinen oder Selbsthilfegruppen "kleben" ("schmort im eigenen Saft") und arbeitet am nächsten Modellprojekt.

Das hat erstens mit Nachhaltigkeit, Integration oder Inklusion nichts zu tun und ist zweitens eine Verschwendung von Arbeitskräften, eben auch von hochqualifizierten.

Kürzlich las ich von einem Integrationsmodellprojekt auf Rügen:

Prof. Hartke: „Es bleibt abzuwarten, wie die Ergebnisse nach zwei Schuljahren ausfallen. Sollte sich das Konzept für die Schüler auf Rügen als erfolgreich erweisen, wäre das Rügener-Integrations-Modell ein gelungener Schritt in Richtung zu einer inklusiven Schule“.

Da muss ich widersprechen, Herr Professor! Inklusion ist ein Menschenrecht und ist umzusetzen. Für Menschenrechte brauchen wir keine Modellprojekte. Es liegen in Deutschland, aber auch in Nordeuropa, in Italien und Österreich, in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Australien zahlreiche best-practice-Beispiele vor - wir müssen sie nur umsetzen.

Ich bin bereit dafür!

Hier finden Sie übrigens das Rezept für die Gänsekeule mit Äpfeln und Pflaumen ;)

"Heute Nachmittag Café Klostertor?"

Liebe Leserinnen und Leser, "Heute Nachmittag Café Klostertor?", war die Reaktion meiner Schulleitung, als ich ihr in dieser Woche...